Torkeln in den Mai
Nicht nur beim Salafisten wird Tradition gross geschrieben - auch
beim CaveSeeker gibt es - neben sehr vielen anderen Dingen - kaum
etwas von mehr Relevanz. Denn Tradition ist wichtig.
Die üblichen alljährlichen Streiterein zum Thema des diesjährigen Austragungsortes
begannen in diesem Jahr relativ früh - dauerten dafür aber mit ca. einem Monat nicht
sehr lange an. Dennoch wurde ausgibig mit Schlägen, Brandstiftung und Familie gedroht.
Auch mit der Familie von der Familie. Und mit Ameisen.
Herr Henschker - der solcherlei Spässe noch nicht erlebt hat - bot aus Verzweiflung
an, den anvisierten Austragungsort vom Weisschen Weiher - welcher bereits letztes
Jahr als Feuerstelle diente - zu sich nach Hause zu verlegen, um 'der Familie' weiteres
Ungemach zu ersparen. Es gäbe darüberhinaus weitere bestechende Vorteile am Henschkerschen
Anwesen zu geniessen: Getränke, Bänke, massig Holz, Nahrung, Platz und Hunde. Im
Zweifelsfalle auch diverse leicht als Waffe zu verwendende Werkzeuge.
So macht sich Herr Wipplinger bereits um 14:30 heldenhaft mit dem
2012er eBike auf den Weg nach Emskirchen. Mit vollem Marschgepäck. Bei Zieleinfahrt
um 17:30 zunächst für einige Minuten nicht ansprechbar, klagt er für den Rest des
Tages über einen Hörsturz nach dem anderen - ausgelöst durch starke körperliche Überbelastung
und die Schönheit der auf dem Weg beobachteten Landschaft.
Nach und nach trifft der Rest der Belegschaft ein. Und schnell wird klar: Bier muss
her. Zur Lösung dieses Problems werden einige alte Herren in den Laderaum eines französischen
Kleinkraftfahrzeuges geladen und zum henschkerschen Bierkeller verbracht. Hier wird
zunächst - ganz CaveSeeker - die Schönheit des Gewölbes gepriesen, bevor - ebenfalls
ganz CaveSeeker - der Alkohol eingepackt wird. Gelernt: In Emskrichen ist es wichtig
einen eigenen externen Bierkeller zu haben.
Zurück am Austragungsort wird zunächst ein Go-Kart aus henschkerscher Eigenproduktion
an die Grenzen getrieben. Nicht an die Grenzen der möglichen Höchstgeschwindikeit.
Nein. An die Grenze seiner physikalischen Belastbarkeit. Und selbst beladen mit Herrn
Warnick werden klaglos einige Runden absolviert. Ausgestiegen wird mit vereinten
Kräften - und einem Brecheisen.
Die anwesende Jung-Feuerwehr entfacht mittels Benzinkanister zunächst sich selbst
und dann das Palettenfeuer - während Frau Henschker die ersehnte Nahrung auffährt.
Das grosse Fressen beginnt.
Das Feuer wird gleichzeitig mit 12 Holzpaletten bestückt und damit die maximale Flammenhöhe
erreicht. Ca. 6 Meter. War schon höher. Hat aber noch nie so schön geknistert.
Für den interessierten Laien wird nun eine Führung durch den Henschker-Moped-Laden und
die angrenzenden Räumlichkeiten veranstaltet. Neben zahlreichen Attraktionen baulicher
Natur beeindruckt den Autor insbesondere eine zur Schau gestellte Raider Verpackung
- leider ohne Inhalt - und einer Schachtel orginaler Double Dips. Hier wird sogleich
ein Exemplar verzehrt. Mit Tränen der Freude in den Augen. Andere Männer betasten
derweil zahlreiche Vergaser, Bremsen, Zylinder und Schmierstoffe - und sind ebenfalls
seelig.
0:05 - Endlich ist Erster Mai. Die Herren Härtl, Wipplinger, Distler
und Warnick zünden die Ideal Standards: Dicke Macanudo Maduros. Noch mehr Freude
als das Geld in Rauch aufgeht. Nur irgendwie nicht bei Herrn Härtl. Herr Härtl wird
blass. Und schweigsam. Quasi kleinlaut.
1:00 - Die beiden Grills harren nun bereits seit Stunden ohne Grillgut aus. Die Glut
ist nur noch schwach am glimmen. Auf der Restwärme versucht Hungerhaken Wipplinger
drei grosse Bauchfackeln zu grillen. Dies gelingt nach 90 Minuten. Leider ist zwischenzeitlich
sein Teller verschwunden - schliesslich wurde das Signal zum Aufbruch bereits vor
einer halben Stunde gesetzt. Frau Weiss besorgt kurzfristig eine Alufolie, die Fackeln
werden vertrauensvoll auf dieser platziert. Kurz umgedreht, um ein Messer zu holen
- und schon fehlen zwei der Fackeln. Egal. Freudig setzt sich Wipplinger vor die
verbliebene Fackel - und wird Zeuge, wie Herr Henschker diese zur Hand nimmt, und
diese ohne zu Zögern einem der grossen Hunde zum Fras vorwirft. So ist es richtig.
Eskalationsstufe 0.3.
2:30 - Abmarsch ins Dorf. Bewaffnet mit getuntem Bobby-Car und einem Schleifsack
voll Bier und einer Flasche Cola - für den Intellektuellen.
2:40 - Die Abfahrt mittels Bobby-Car ist zunächst geprägt von Schmerzen im Gesäß
und Muskelbeschwerden im Rücken - bis Herr Weiss im Rausche darauf drängt nun das
Steuer übernehmen zu dürfen. Zunächst wird dieser Wunsch abgelehnt, später aber dann
doch umgesetzt.
3:05 - 10 Meter weit ist Herr Weiss bereits gefahren, als er kräftig am Lenkrad reisst.
Die Zigarette entgleitet seiner rechten Hand, das Fahrzeug stellt sich quer, und
der Trinker schlägt am Asphalt auf, rollt ein wenig die Strasse hinab und bleibt
fröhlich lachend mit dem Gesicht nach unten liegen. Die Situation erscheint unkritisch.
3:06 - Es wird nach einen Pflaster gerufen, weil gerade niemand da ist, der die Wunde
über dem Auge nähen könnte. Keiner setzt sich in Bewegung. Es wird gewartet. Der
Ton wird kurz lauter. Eskalationsstufe 1 ist erreicht.
3:07 - Um die Zeit zu überbrücken, die Herr Weiss benötigt um von der Strasse aufzustehen,
bittet Herr Wipplinger um sein Cola. Dieses wird ihm auch promt von Herrn Hauselt
ausgehändigt. Um mit beiden Händen in den Hosentaschen nach dem Flaschenöffner stöbern
zu können, wird die Flasche kurz Herrn Warnick zu treuen Händen übergeben.
Dieser lässt sie - selbstverständlich - kurzerhand fallen. Keine Bauchfackeln, kein
Cola. Eskalationsstufe 3. Der Ton wird rauher. Beispiel: 'Man sollte
den Warnick generell immer zu Boden treten - weil wenn er dann die Flaschen fallen
lässt, besteht Hoffnung, dass diese den Sturz überstehen.'
3:20 - Johannis Paulus dringt in ein Abwasserrohr in Zentral-Emskirchen ein. Nicht
weiter schlimm. Die Längenausdehnung des Rohrs ist unklar, das Wasser steht nur ca.
10cm hoch, und pro Meter hängen etwa 5 extrafette schwarze Spinnen.
Ohne Hirn folgt der torkelnde Rest. Bis auf Herrn Warnick.
Nach 5 Metern im Rohr ist die Geduld der meisten Trinker erschöpft. Es wird
Blutrache geschworen. Aber es gibt kein zurück.
Nach weiteren 50 Metern wird nicht mehr versucht mit den Knien oberhalb des Wassers
zu bleiben. Nochmals 50 Meter weiter landen dann auch die Schuhe im Brackwasser -
und kurz darauf auch die Hände. Macht aber nichts, weil an den Knien, an den Ellenbogen
und an den Handballen ist bereits kaum noch Haut vorhanden, die hätte nass werden
können. Eskalationsstufe 5 wird ausgerufen. Totaler Hass.
Nach weiteren 150 Metern keimt kurz Hoffnung auf ein Ende der Tortur auf. Allerdings
ohne Grund, denn die ausgemachte Änderung am Rohrprofil ist nur ein Abzweig. Es geht
nochmal 150 Meter weiter.
Gefühlte 2 Stunden später dann die Ankunft im Zielgebiet. Der vorgefundene Raum -
zusammen mit dem dort umherlebenden Getier - lässt die Eskalationsstufe auf
6 steigen. Um der kurz bevorstehenden Schlägerei zu entgehen, wird umgehend
das Rückzugsgefecht eingeleitet. Glücklicherweise werden die Blutegel im Rohr nur
von wenigen wahrgenommen.
4:05 - Die Kasperaden werden notdürftig von den Spinnen befreit, Drecksbrühe von
den zerschundenen Hosen fliesst zu dem bereits in den Schuhen schwappenden Brackwasser.
Ein schönes Gefühl, welches zu Resignation führt, und damit die Eskalationsstufe
schlagartig auf 4 fällt.
4:15 - Man schleicht völlig geräuschlos durch einen Hinterhof. Nur die Bierflaschen
im Schleifsack scheppern. Ein Gitter wird geöffnet, und schon beschreitet man einen
alten Eiskeller. Die Bergwerk-Fraktion träumt von der 100 Meter-Sohle, Herr Wipplinger
fragt nicht zum letzten Mal nach der Büste und gähnt.
4:44 - Inzwischen hat man Emskirchen komplett durchquert. Länge mal Breite mal Höhe
mal Tiefe. Herr Warnick atmet bereits seit 25 Minuten nur noch sehr flach. Starke
Schweissproduktion wird jedoch als Indiz eines noch nicht erfolgtem Ablebens bewertet.
Und so dringt man - wieder völlig geräuschlos und unter Verzicht auf Leuchtwerk -
in ein imposantes, jedoch stark verfallenes Gebäude ein.
5:10 - Herr Härtl ist kurz vor der totalen Eskalation. Ein Wort mehr, und Johannis
Paulus wäre ob seines alkoholbedingten Dummschwatzes zu feuchtem Brei zerschlagen
worden. Herr Warnick hingegen denkt über Selbsttötung mittels eines Fenstersturzes
aus dem fünften Stock nach. Herr Wipplinger sucht die Büste während Herr Henschker
versucht die Moral über 0 zu halten. Was gelingt. Zumindest bis zum Fuße des auf
dem Rückweg zu bezwingenden Berges.
6:05 - Herr Warnick bockt. Der Anstieg sei zu steil. Und überhaupt. Pro überwundenem
Höhenmeter wird 30 Sekunden pausiert. Der Blutdruck ist am Boden. Der Blutzucker
nicht mehr messbar. Und der Puls bei 210. Glücklicherweise ist noch genug Alkohol
im Blut um den Exitus zu verhindern.
7:00 - Rückankunft an der Feuerstelle. Schnell werden nochmal zwei Paletten nachgeschmissen
und der Grill reaktiviert. Nächstes Ziel: Das Härtl-Bierfass leeren. Mit den letzten
Kräften wird am Maßkrug genuckelt.
7:32 - Die Nachruhe wird eingeleitet. Vorher aber lässt es sich Herr Arendt nicht
nehmen, spärlich bekleidet aus seinem Wohnwagen zu stolpern, und zu fragen, was denn
los wäre.
12:00 - Der Wecker klingelt. Die Börsenkurse werden überprüft. Ein paar Deals werden
abgewickelt. Danach versammelt man sich um die Feuerstelle und sieht alt
aus.
Emskirchen |