Schonungslos wird das Miet-KFZ - aus minderwertiger, weitgehend französischer Herstellung - einen Berg nach dem anderen hoch- und wieder runtergetreten. Solange bis man den Abzweig zur endgültigen Straße nimmt. '''Die Straße''' befindet sich nicht in USA, Deutschland oder in der Ukraine. Sie befindet sich auf Sardinien.
Doch bevor man feststellt, auf welcher Straße man gelandet ist, erfreuen zunächst einige wild laufende Schweine das Auge, insbesondere ein halbschwarzes wird intensiv begutachtet. Doch nicht nur die Schweine interessieren sich nicht für den parkenden CaveSeeker, auch eine vorbeieilende Polizeistreife rauscht ungebremst an der Energy Drink Bar vorbei. Offenbar befahren sie '''die Straße''' zum reinen Lustgewinn. Aber verständlich, denn '''die Straße''' ist grandios.
Herr Wipplinger stürzt einen weiteren Rest Red Bull in den Rachen - und schon geht die Fahrt ein wenig beschwingt weiter. Zunächst schnurgerade und von hüfthohem Gewächs gesäumt, später aber immer kurviger, enger, verwitterter und steiler. Zusammen mit einem Bewuchs, der sicher nicht von dieser Welt stammt, stellt sich der Eindruck ein, man wäre mit James T. Kirk unterwegs. Fantastisch - insbesondere das völlige Fehlen von menschlichem .
Dann werden Brücken überquert. Brücken, die sicher aus EU-Töpfen bezahlt wurden, sich aber eher am Standard des nahen Afrika zu orientieren scheinen. Zunächst sehen sie nur gefährlich aus. Mit der Zeit aber werden sie gefährlich. Ab und an springt ein Rind aus dem Wald auf die Straße - oder umgekehrt. Spannend.
Schließlich wird '''die Straße''' breiter. Auf einer Länge von ca. 10 Metern. Und damit ist man an der letzten - jetzt vollständig unpassierbaren - Brücke und am Ende '''der Straße''' angekommen. Eine Sackgasse. Man steht auf einem Parkplatz mitten im Nichts. Noch ahnt man nicht, wie lange der Fußmarsch bis zum Eingang des Lochs noch sein wird und dass die mitgeführten Getränke kaum bis dorthin reichen werden. Daher ist die Stimmung gut, fast ausgelassen.
Ganz CaveSeeker - mit erheblichem Zug zum Loch - schlägt man '''in etwa''' die richtige Richtung ein - mit dem Fluss weiter ins Tal, aber ohne GPS, denn Koordinaten waren auf die Schnelle nicht verfügbar. Schlaz und Gedöns im Rucksack, die Sonne brennt aufs Resthaar.
Man denkt freudig an die Kameraden der Vorgängermission, die zum einen nicht in der Lage waren, eine anständige Wegbeschreibung abzuliefern und zum anderen den gesamten Weg zur Höhle in Neopreanzügen beschritten hatten. Bei 30 Grad in der prallen Sonne. Nochmal: Freude!
Irgendwann überwiegt aber die Verzweiflung darüber, dass man den Eingang nicht finden kann. Herr Seeleitner hat sich taktisch bereits weit zurückfallen lassen - und findet Spuren menschlicher Wegbauaktivitäten im Busch. Der eilig herbeigepfiffene Herr Wipplinger stolpert unverzüglich herbei und schreitet den Spuren hinterher. Der Schweiß fließt in Strömen. Der zweite Red Bull wird in einem Zug geleert und plötzlich wird ein Schild im Busch entdeckt, welches darauf hinweist, dass der Eingang zur Su Palu nun erreicht sei. Das Schild ist derart groß, dass man sich am Eingang einer Rentnerhöhle wähnt. Zudem erscheint es den Profihöhlenforschern etwas merkwürdig, dass nur ein paar Meter neben dem wasserführenden Bach eine Abseilstrecke beginnen soll. Aber genau so ist es.
Beim Anblick des eher engen Eingangs erscheint es den beiden Fachmännern unwahrscheinlich, dass es sich bei diesem Loch um etwas anderes als eine fränkische Kleinsthöhle im Ausland handeln könne. Denn es muss folgendes verarbeitet werden:
Um der Hitze Afrikas zu entkommen könnte man vermuten, dass versucht werden würde, den Schlaz möglichst schnell anzulegen, um im kühlen Loch verschwinden zu können. Allerdings kollidiert der Wunsch nach Kühle mit der zum Umziehen nötigen Bewegung - und der damit einhergehenden Körpererwärmung. Schnell wird klar, dass sich beide Männer einer jeweils anderen Taktik bedienen: Herr Wipplinger beschleunigt die Aktivitäten - nimmt quasi einen Wärme-Kredit beim Schöpfer auf - um schneller im Loch verschwinden zu können. Herr Seeleitner bedient sich der Taktik, die ihn schon seit seiner CaveSeekers-Werdung immer sicher ans Ziel gebracht hat: Starren, Brille putzen und unter den Beschimpfungen der Kameradschaft ganz langsam - ganz langsam - seinen Schlaz anziehen.
Im Loch herrscht nun einige Verwirrung wegen der unangenehmen Enge und Scharfkantigkeit des Hohlraums. Erst nach dem Überwinden einer ca. 18 Meter langen 60 Grad-Schräge kommt man in einem nennenswerten "Raum" an. Dieser "Raum" ist extra groß, mit großem Verbruch gefüllt, mit respektablem Wasserrauschen vertont und endet nach 10 Minuten des ängstlichen Abstieges in einem 30x20 cm großem Loch. Dieses Loch steht bis zur Hälfte unter Wasser, hier zwängt sich der Bach durch den Berg.
Nun bockt der Franke. Der Oberbayer bockt noch mehr. Generell ist davon auszugehen, dass jeder Mann ohne Erfahrung mit den Wassern Sardiniens hier bockt. Eine kurze Diskussionsrunde inkl. starker Beleidigungen endet mit der Entscheidung, sich durchzudrücken. Einer exzellenten Entscheidung wie sich im Nachgang herausstellt, denn es herrscht keine nordeuropäische Kühle im Hohlraum, sondern eher adriatisches Flair.
Da die große Pelibox wie immer nicht dicht ist, wird Herr Wipplinger vorgeschickt. Dieser sträubt sich und quengelt ein wenig - legt sich dann aber ins klare und - Überraschung - warme Wasser. Dann nur kurz die Luft anhalten - und schon issa durch. Seeleitner folgt ohne Murren. Es können sogar Bilder vom Bad gestaltet werden, derart angenehm liegt es sich verkeilt in der Strömung.
Hinter dem Siphon ist die Situation genauso wie vor dem Siphon: 70 Grad nach rechts geneigt schreiten die Herren durch das Bett des kleinen Flüssleins bis diese schlimme Passage endlich endet und in eine gigantische Wasserhöhle mündet - deren vermutliche Ganghöhe je nach befragtem Helden entweder 20 oder gar 40 Meter beträgt. Es dringt kurz ein anerkennendes Grunzen aus den Kehlen. Dann gehts weiter. Zunächst noch kurz im Wasser. Dann nach einem Abzweig nur noch über und durch Verbruch.
Vorbei an stellenweise extrem beeindruckendem Sinter. Stundenlanges, verhältnismäßig einfaches Höhlenwandern durch abwechslungsreiche und fantastische Höhlenabschnitte machen dieses Loch zu einem der schönsten überhaupt. Neben trockenen, ebenen Strecken gibt es Wasserbecken, kleinere Kletterpassagen, karge Bereiche, von Excentriques strotzende Bereiche und generell eine Schönheit, wie sie selten gesehen ward. Anständiges Leuchtwerk am Kopf ist aufgrund der überdurchschnittlichen Gangdimensionen unbedingt anzuraten.
Später - sehr viel später - kommen die Helden wieder in den Bereich mit aktiver Wasserführung. Ab einen Zusammenfluss mehrerer Flüsslein muss man eine gewisse Strecke im Wasser waten. Meist 10 Meter breit, 60 Meter hoch. Die Decke ist nicht zu sehen und man wähnt sich bei einer Nachtwanderung in einer Schlucht. Sandbänke und kleine Strände verstärken den Eindruck, lediglich die teilweise riesigen Sinterformationen erinnern daran, dass man sich in einem Hohlraum befindet. Schließlich gelangt man zu Wasserfällen des Flusses, die sich ohne Seil nicht überwindenden lassen. Es existiert eine Art Klettersteig an den Steilwänden entlang, aber da man sämtliche Hardware in der Eingangshalle zurückgelassen hat, ist hier Schluss und fast schon wehmütig wird nach ca. 1900m Strecke der Rückweg eingeleitet.
An einige Stellen werden äußerst ansehliche Fotos gestaltet und bei jeder Fotopause weitere Schönheiten entdeckt. So dauert es doch einige Zeit, bis sich die Helden an der Engstelle durchs Wasser drücken und schließlich scharfkantig bei völliger Dunkelheit ausschlufen. Die Unterkunft - nur 14km Luftlinie entfernt - wird auf der kürzesten Straßenverbindung angefahren, was nochmals über 2 Stunden dauert.
Zurück in der Wohnung wird zum ersten Mal der Plan des Lochs begutachtet und freudig festgestellt, dass man trotz einiger Kilometer ca. nichts vom Loch gesehen hat. Und doch waren es die wohl schönsten Kilometer der jüngeren Vergangenheit.
Nachtrag 6/2016: Mittlerweile wurde die Su Palu durch Höhlentaucher mit anderen großen Höhlen der Umgebung zu einem System zusammengeschlossen. Es bildet mit 76km Länge nicht nur das größte System Sardiniens, sondern ganz Italiens. Glückwünsch!