Wer von drei Gruppen zuerst ins Loch einfällt und nach 11 Stunden als letzter wieder auswankt, der hat bewiesen, dass ihm nichts an der eigenen Gesundheit liegt. Um fair zu bleiben, darf zu unserer Schande allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass wir nicht etwa weiter oder gar tiefer in die Höhle vorstießen als die anderen Gruppen. Nein, der Schweizer scheint im allgemeinen nur unerhört fit am Berg zu sein.
Stählernen Willen zeigte u.A. Herr Müller, der in der Höhle - angesichts der Möglichkeit allein im Biwak 1 für etwa drei Stunden zurückgelassen zu werden. Er entschied sich dafür, über sich hinaus zu wachsen und die noch stehenden Kameraden und deren schmerzverzerrte, mit Dreck beschmierten Gesichter bis ins Biwak 2 und auch zurück zu begleiten. Aber nun von Anfang an:
Es meldeten sich je eine südbayrische und eine fränkische Spezialeinheit für die Entsorgung von Höhlenmüll. Böse Zungen behaupteten sogar, dass endarmmgelagerte Schoggis der Eidgenossen abtransportiert werden sollten. Treffpunkt war die Höllgrotte, das Restaurant, in der beschaulich anmutenden Schwyz vor winterlicher Almöhi Kulisse. Alles natürlich mit Preisschildern - ausgezeichnet in unbekannter Währung.
Hr. Wipplinger - einer aus Franken - erinnert sich an seine
Ankunft:
19:43 - Erste Experimente im Raum beweisen: Ein Netzteil eines tragbaren
Rechners explodiert nicht, wenn es in eine schweizer Steckdose gesteckt wird.
19:44 - Ein wenig ermüdet von der 5,5 stündigen Fahrt, hockt der
Schreiber nun auf seiner Matratze. Seine Matratze liegt neben sieben weiteren Matratzen.
In einem schönen 16qm² großen Raum mit karger Ausstattung. Für ganz enge Freunde
lägen sogar noch weitere zwei Matratzen bereit.
19:47 - Immer wenn die Tür sich öffnet, brandet über dem Schreiber
zunächst eine Lawine aus mit Fett geschwängerter Luft herein. Erst danach wird der
verursachende, ebenfalls fette, CaveSeeker in der Tür erkennbar.
19:53 - Die Entscheidung fällt: Lieber Müsli fressen, als sich unten
in die fettgeschwängerte Luft zu hocken.
19:54 - Hr. Müller hat gar viel zu herzhafte Nahrung bei der Hand
- wer hätts gedacht? Daneben auch ein paar 9V Lithium-Ionen Akkus.
19:57 - Was der Step-Hahn wohl macht?
Die Südbayern, deren Anreise durch die Abholung des Step-Hahns in Allach verzögert wurde, hatten ihren psychologischen Härtetest im Grenzbereich eines Guantanomo Workshops bereits während der Anreise über sich ergehen lassen. Hr. Schweikert und Hr. Bunk förderten die Allgemeinbildung von Hr. Konopac und Hr. Meyer mit wertvollen rechtswissenschaftlichen Dialogen. Vor allem wurde die Frage erörtert: Was ist wenn Hr. Bunk Herrn Konopac zum Tauchen mitnimmt und letzterer dabei abkratzt? Gar beruhigende Gehirnwäsche! Trommelfell- und vor allem nervengeschädigt half nach lang ersehnter Ankunft nur der schnelle Rausch in der Höllgrotte. Mehr als das erste dunkle Erdinger Weißbier war hierzu bei Einigen nicht nötig. Die Verbrüderung mit der fränkischen Fraktion fiel aus. Diese fanden sich ausnahmslos bereits im Tiefschlaf.
Der darauffolgende Morgen lockte mit leckerem Graubrot, Fusskäsescheiben und Omas eingeweckter Marmelade aus dem 30jährigen Krieg. Das Frühstück war für schweizer Verhältnisse für umgerechnet 14 DM recht preisgünstig - zumindest schmackhaft. Gewürzt wurde das beschauliche Büffet noch durch emotionsgeladene Aktion des Hüttenwirtes, welcher Hr. Zimmer bat sein Kraftfahrzeug, welches dieser als Sperre für den hiesigen Schneepflug parkierte, zu entfernen. Zuerst keine Reaktion von Hr. Zimmer, nur schwer begreifender Blick. Nach wiederholter Bitte stammelte Hr. Zimmer: "Auf dem Auto liegt Schnee." Der Hüttenwirt, welcher mit den Hells Angels seelenverwandt schien, überlegte möglicherweise kurzfristig, ob er seine Zimmerflak unter dem Tresen hervorkramen solle um die Schweizer Neutralität aufzuheben. Er beließ es jedoch - angesichts der ängstlichen Blicke - bei einer kräftigen Standpauke über Benimm. Die durchaus mitreissende Moralpredigt ließ den Kopf von Hr. Wipplinger in den Emmentaler knallen.
Das Auto wurde umgeparkt!
Im Erdgeschoß der Höllgrotte, im Lichte von Plastiktropfsteinen, traffen wür unsere Führung: Margrit - Höllochführerin seit 40 Jahren! Nach Vervollständigung der Ausrüstung begaben sich neun seltsam gekleidete Wesen über die Straße und ein kleines, romantisches, verschneites Steiglein direkt in den Höllenschlund.
Von außen betrachtet ist der Eingang unspektakulär, ein Gitter und ein Vorhängeschloß - fast könnte ein jeder sich in Franken wähnen. Der Weiterweg folgt der betonierten Führung aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Über 300 Stufen später verläßt man den ausgebauten Teil. Auf den letzten Metern fehlen die einstmal dort vorhandenen Holzstufen - nur die metallene Auflage ist noch vorhanden. Ein gelungener Übergang in den "wilden" Höhlenteil. Schon jetzt befindet man sich in der 1600 Meter langen Siphonstrecke. Am besten stellt man sich hintereinander liegende Badewannen vor, welche in der Höhe versetzt sind. Sollte es nun regnen, läuft zunächst einer der hinteren Siphone zu. Das Wasser steigt, mit bis zu 1 Meter Höhe/Sekunde an, läuft über und füllt die nächste Badewanne. Bei ordentlichem Druck steht die Wassersäule viele dutzende von Metern über Eingangsniveau - das bedeutet für Touristen am anderen Ende der "Badewannenkette" einen sehr langen Aufenthalt - sehr lang! Die Höhle ist nur im Winter begehbar.
Es ist ein weiter Weg zum ersten Biwak, welche etwa 2,5 Kilometer Luftlinie vom Eingang entfernt liegt. Es geht über Leitern nach oben, dann wieder nach unten. Ein elendslanger Aufstieg ist mit mehreren Seillängen versichert. Fast im gesamten Aufstieg kann nicht aufrecht gegangen werden - schlimmer Muskelkater im Oberschenkel ist die Folge diese stundenlangen Entenganges. Hr. Wipplinger klagte laut über die sich einstellenden Schmerzen. Beinahe wäre er durch die Schweizer Rettung aus der Höhle getragen worden. Kurzweilige Erleichterung brachte der Transport in einem kleinen Boot über einen kurzen See. Endlich! Das Biwak kündigt sich durch einen sehr langen Antennendraht an. Dieser läuft an die hundert Meter den Gang seitlich entlang. Die Schweizer hören damit den Wetterbericht auf Mittelwelle. Leider funktioniert dieser Warndienst nicht mehr lang, da das Senden auf dieser Frequenz eingestellt werden wird. Wohl auch deshalb haben es die Eidgenossen geschaft mit Hilfe des Drahtes und anderer Elektronik SMS ins Mobilfunknetz abzugeben und auch zu empfangen. Beeindruckend!
Das Biwak 1 weißt einen langen Tisch auf, ideal für den Trekking Veranstalter, der hierher und auch bis Biwak 2 Touren anbietet. Toiletten sind ausgeschilderte Eimer im Gang um die Ecke. Lehmverschmierte Matratzen versprechen in einem abgetrennten Teil erhohlsamen, wenn auch nicht ganz trockenen Schlaf. Herr Müller faßte seinen Mut zusammen, er habe sich über- und die Anstrengungen unterschätzt. Erinnerungen an das "Müllern" in der Großen Spielberghöhle wurden bei einigen Teilnehmern wach. Herr Wipplinger fragte nach der Fernbedienung für den nicht vorhandenen Fernseher. Herr Bunk blätterte in eigens mitgeführten Gespenster Comics, ein Hinweis auf seine Vorlieben beim nächtlichen Ausgehen. Man sagt das Münchner "Nerodom" ist oft besucht. Es ist unklar, was Herrn Müller nun abschreckte alleine im Biwak zu verbleiben. Nach einiger Diskussion und etwas Brotzeit ging es geschlossen weiter.
Die 2,5 Kilometer zum Biwak 2 waren weniger anstrengend. Die meiste Zeit konnte aufrecht gegangen werden. Auch bestand nicht mehr die Gefahr sich zu Verlaufen. Der Weg hatte weniger Abzweigungen, die mit weiten offenen Gängen in die falsche Richtung lockten. Sinter zeigte sich auch öfters. Die meisten Bilder entstanden nun. Die Kamera wurde erst an einer versicherten Passage, die steilabwärts zu einem zweiten Bootstransfer führt, verpackt. Nach der Bootsfahrt kündigt schon bald der vertraute Antennendraht das Biwak 2 an. An dem abzutransportierenden Abfallsäcken vorbei ging es zur Brotzeit an den Biwaktisch. Die beiden anderen Gruppen waren bereits anwesend und beendeten gerade ihre Pause. Bald waren wir unter uns: Ruhe tief im Berg. Als wir gingen, hinterließen wir wieder absolute Dunkelheit, nach uns die Ewigkeit!
Wir rüsteten uns ein mit den Abfalltüten, jeder was er tragen konnte. Die Schleifsäcke wurden riesig und schwer. Kein zum Abtransport bestimmter Abfall wurde zurückgelassen. An der zweiten, der nunmehr ersten Bootsfahrt kam, was Herr Bunk voraussah: Schiffeversenken oder Der Untergang der Titanic An die Ewigkeit denkend sagte Hr. Konopac zu Hr. Bunk, sie seien nun die Letzten. Darauf erwiderte Orakel Bunk, er wolle hoffen, das sie - die beiden Letzten - nicht die ersten seien, die vom Boot ins Wasser fallen. Genau in dieser Sekunden dröhnte über den See ein lautes Platsch! Hr. lachte, ansichts des Dramas, ausgelöst durch die schweren Lasten. Es scheint immer gut, sich angesichts des Leidens etwas Humor zu behalten. Zwei Herren waren komplett durchnäßt. Auch das Boot war bis Oberkannte vollgelaufen und mußte erst für die weitere Verwendung entleert werden.
Es stand nun ein noch schwererer Weg zurück an, einer im Dritten Zustand. Der CaveSeeker erlebt häufig das, was man totale Erschöpfung nennt: Adrenalin beginnt die Schmerzen zu betäuben, es geht noch ein paar Minuten weiter - man befindet sich im Zweiten Zustand, den körperlichen Ausnahmezustand. Man fährt auf Notstrom. Was der CaveSeeker allerdings noch nicht erlebt hat, ist der dritte Zustand: Der Geist verläßt den Körper, und man erlebt außerkörperliche Wahrnehmungen. Man sieht sich selbst vor sich herhumpeln. Keine Farbe mehr im Gesicht, trotz totaler Überhitzung. Erschreckend, dass die midfünfzigjährige Führerin dies alles kalt zu lassen schien, und frisch wirkte, wie zu Beginn.
Irgendwann nach dem ersten Biwak erklärte Margrit, die erste Gruppe sei gerade an der Luftschleuse, nahe des betonierten Höhlenteils. Ihr Geheimnis, woher sie dies wußte, es klärte sich erst am Abend auf. Vielleicht, wären wir nicht alle so fertig gewesen, hätten auch wir die Veränderung im Luftzug beim Durchschreiten, Öffnen und Schließen, der Luftschleuse bemerkt. Stunden später erreichten wir den Nachthimmel. Die einen etwas früher, als die anderen. Endlich wurden wir die Last - den Abfall - los.
Nach einem kurzen Duschen in der Höllgrotte fanden wir uns beim Abendessen, welches für etwa 25 Euro pro Person mit Getränken, nicht unbedingt preisgünstig war. Die Nachwehen und Ausfallserscheinungen waren Gesprächstoff, sollten sich in den Details, jedoch erst am nächsten Morgen, richtig bemerkbar machen.
Rückfahrt: In einem Auto hielt Her Schweikert als angehender Richter einen langen Vortrag über das Grundgesetz und die Verfassung. Hr. Bunk zog eine Kapuze über sein Gesicht und gab vor zu schlafen, Hr. Meyer starrte beständig recht angestrengt aus dem Fenster. Lediglich Hr. Konopac griff in halbstündigen Abständen einige Worte auf und provozierte eine weitere Stunde Monolog. Erst in Lindau bekam Hr. Schweikert Durst.
Über das Schicksal des Frankenfahrzeugs ist nichts bekannt.